Wie Coaching bei Überforderung hilft – und was die Coaches von morgen brauchen.

Autor: Nadine Stritzke

· Veröffentlicht: · Zuletzt aktualisiert: ·

Coaching, Führungskräfte

· 9 Min. Lesezeit

Marie Bahnsen ist Arbeits- und Organisationspsychologin und leitet an der IOS-Akademie in Hamburg die systemische Coachingausbildung. In ihrer Rolle als Coach am IOS begleitet sie Menschen, die sich innerlich ausrichten und ihrem Leben einen neuen Dreh geben wollen.

Hier erzählt sie, mit welchen Herausforderungen ihre Coachees zu ihr kommen, welche Rolle die Pandemie dabei spielt – und was Coaching bei Überforderung bewirken kann. Außerdem verrät sie, welche Kompetenzen Coaches mitbringen müssen, um ihrem Gegenüber wirklich helfen zu können, und wie die Ausbildung am IOS diese Kompetenzen abbildet.

Zwei Beraterinnen sitzen sich im Gespräch gegenüber

Der Bedarf an Coaching ist in den letzten Jahren extrem gestiegen.

Das sehe ich auf zwei Ebenen: Einmal im beruflichen Kontext. Da sehe ich einen hohen Anstieg bei Führungskräften, was dem aktuellen Weltgeschehen geschuldet ist. Hier stellen sich für viele Menschen in Führungsverantwortung neue Fragen: Wie führe ich jetzt anders? Als Führungskraft gibt es so viele Rollen, die mir zugeschrieben werden. Ich soll Menschen führen, vielleicht noch operativ arbeiten, und dann auf einmal auch coachen. Ich soll Menschen emotional begleiten, weil wir gerade durch Krisen gehen. Da sind die Krisen im Außen – Corona, Krieg und Wirtschaftskrise –, die sich natürlich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional in der Arbeitswelt spiegeln.

Die Komplexität der Welt hat zugenommen, der Wunsch nach Klarheit auch

Das gilt innerhalb von Unternehmen für alle Mitarbeitenden und damit auch für ihre Führungskräfte. Ich merke, dass die wiederum deutlich mehr Begleitung brauchen, um mit dem gestiegenen Druck in den Unternehmen umzugehen. Für Führungskräfte braucht es oftmals eine Klarheit darüber, in welchen Rollen sie angesprochen werden, welche sie tragen möchten und welche Aufgaben damit verbunden sind.

Genauso gilt das auch für Erwartungen, die an Führungskräfte herangetragen werden oder auch die so genannten „Erwartungserwartungen“: Meine Erwartung darüber, welche Erwartung jemand an mich hat. Da braucht es Klarheit im Inneren und transparente Kommunikation nach außen.

Zudem müssen Führungskräfte oft auch ihren Fokus wiederfinden und den Umgang mit heiklen Themen sowie schwierigen Emotionen im Unternehmen lernen. Für Leadership-Positionen wirkt sich das in zwei Dimensionen aus: Was mache ich für mich und was kann ich für meine Mitarbeiter:innen tun?

Viele Menschen suchen externe Begleitung und Struktur

Auf der privaten Seite erlebe ich das auch genauso. Ich habe viele Coachees, die sich alle zwei bis drei Monate ein Coaching bei mir nehmen. Einfach, weil die sagen: „In meinem Leben passiert gerade so viel, ich möchte das gerne begleitet haben. Ich möchte mit jemand Externem einen Raum zum Innehalten, Aufarbeiten und Integrieren haben.

Oftmals steht in unseren Sitzungen im Vordergrund, sich innerlich zu ordnen, auszurichten und mit sich selbst zu verbinden. Es geht dabei vor allem darum, in Stimmigkeit zu sich selbst zu kommen. Wir Menschen werden oft von den äußeren Dynamiken mitgerissen und da ist es wertvoll, zu sich selbst zurückzukehren, sich selbst zu spüren und sich mit der eigenen Kraft zu verbinden.

Ich habe im Coaching aber auch häufig konkrete berufliche und private Themen. Was ich merke, ist, dass es oft um Themen der Beziehungsgestaltung geht. Damit sind nicht unbedingt romantische Beziehungen, sondern einfach Beziehungen aller Art gemeint. Es geht um Kontakt und Kommunikation: Was sind meine Interaktions- und Kommunikationsmuster? Kann ich zum einen mich selbst ausdrücken und mitteilen, meine wahren Gedanken und Bedürfnisse aussprechen und bei mir sein? Kann ich mich zum anderen auf die andere Person einlassen und wirklich zuhören? Kommunikationsthemen haben in den vergangenen Monaten einen deutlich höheren Stellenwert bekommen.

Distanz schwächt den „sozialen Muskel“

Die physische und teilweise auch soziale Distanz hat etwas mit uns gemacht. Wir sprechen manchmal auch von einem „sozialen Muskel“, den man trainieren kann wie einen richtigen Muskel. Über die Monate der Pandemie und auch im Zuge der digitalen Kommunikation ist dieser Muskel schwächer geworden.

Meetings können schnell überfordernd sein. Wir sehen zehn Kacheln auf dem Bildschirm und damit die Reaktion aller Gesprächspartner:innen auf einen Schlag, während wir reden. In echten Meetings schaue ich mal von rechts nach links, halte Augenkontakt, blende andere Reize aus. Das ist virtuell so nicht möglich. So kann es passieren, dass ich noch stärker darauf achte, wie andere auf mich reagieren, und bin dadurch gehemmter. Zudem fehlt uns auch die Körpersprache, der Gesamteindruck eines Menschen, wenn wir uns nur virtuell treffen.

Gunter Schmidt, ein bekannter systemischer Coach, hat herausgefunden, dass wir uns viel mehr öffnen können, wenn wir beispielsweise nebeneinander herlaufen. Denn in dem Moment, in dem ich nicht mehr mit der Reaktion meines Gegenübers beschäftigt bin, bleibe ich stärker bei mir und kann mehr teilen und offener kommunizieren.

Coaching bei Überforderung, Burnout und Stress ist gefragt

Gerade im beruflichen Kontext begegnet es mir sehr häufig, dass Menschen in Stress und Überforderung geraten. Da kommt jemand ins Coaching, der die Arbeit mit nach Hause nimmt oder den die verschiedenen Lebensbereiche und deren Anforderungen überrollen. In solchen Situationen kommt im Coaching dann das Thema Coping-Mechanismen und Resilienz hoch. Hier kann man auf zwei Ebenen arbeiten. Ich kann konkret instrumental arbeiten, sprich: an meinem Zeitmanagement und Priorisierungen. Auf körperlicher Ebene kann ich Cortisol abbauen und durch gezielte Übungen aus dem angespannten Nervensystem in den Vagusnerv gehen. Oder mich auch sozial anders vernetzen und meine sozialen Ressourcen nutzen, um mich anderen Menschen anzuvertrauen.

Auf zweiter Ebene stecken hinter Stress und Burnout oftmals tiefliegende innere Überzeugungen, die in uns wohnen. Das kann Leistungsorientierung sein oder die Überzeugung, alles übernehmen zu müssen, uns anstrengen zu müssen, alles perfekt zu machen, es den anderen recht machen zu müssen, uns immer zu beeilen und uns keine Pausen zu gönnen.

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Zwei Personen sortieren Moderationskarten die vor ihnen ausgebreitet auf dem Boden liegen

Da braucht es eine Coaching-Arbeit, die auf dieser Ebene ansetzt und unsere inneren Antreiber um innere „Erlauber“ ergänzt. Außerdem kommen auch Unsicherheit und Ängste in der zunehmenden Komplexität des Lebens auf. Zu lernen, wie ich meinen Emotionen begegnen kann, ohne in diesen zu versinken, und stattdessen einen gesunden Umgang mit ihnen zu lernen, ist ganz essenziell.

Was kann Coaching bewirken – und was nicht?

Coaching stellt eine besondere Art der Gesprächsführung dar, die in jeglichen Lebenssituationen und Themen begleiten und stärken kann.

Aktuell geht es vielen Menschen psychisch nicht gut, die äußeren Umstände und Katastrophen der vergangenen Jahre zehren. Manche kommen auf die Idee, bei den fehlenden Therapieplätzen im Bereich Psychotherapie stattdessen ein Coaching bei Überforderung der Depression zu buchen. Diese Entwicklung finde ich spannend. Bei Therapie ist das Ziel die Heilung. Das ist im Coaching anders und es ist wichtig, das zu unterscheiden.

Gleichzeitig sind die Grenzen oftmals fließend. Ich hatte beispielsweise schon Coachees, die begleitend zu einer Psychotherapie ein Coaching bei mir hatten. In der Therapie schaut man erstmal viel in die Tiefe und in die Vergangenheit. Oft auch auf den Schmerz und das „Warum?“

Das tun wir im Coaching nicht unbedingt. Klar, wir betrachten das Problem oder die herausfordernde Situation und wertschätzen sie, jedoch legen wir im Coaching den Fokus vermehrt darauf, uns mit uns selbst zu verbinden, in den Kontakt mit unseren eigenen Ressourcen und Stärken zu gehen. Es geht darum, dass die Coachees gestärkt aus der Sitzung herausgehen und neue Kraft für sich gewinnen. Ein weiterer Ansatz ist, dass wir die Komplexität reduzieren, damit die äußere sowie innere Welt für uns einfacher zu fassen und zu begreifen ist. Das ist die Basis dafür, lösungsorientiert nach vorn zu schauen, um Handlungsoptionen auszuloten.

Man kann sich das wie eine Sanduhr-Bewegung vorstellen: Erst reduzieren wir im Coaching die wahrgenommene Komplexität, um mit mehr Klarheit und hilfreichem Abstand auf die eigene Situation zu blicken. Anschließend geht es darum, die Essenz oder eine Entwicklungsrichtung für sich zu finden, die dann mit der Fülle der Handlungsmöglichkeiten ins Glas fließt.

Um das nochmal klar zu sagen: Ein Coaching kann neben der Therapie begleitend sehr sinnvoll sein. Eine Psychotherapie ersetzt es aber nicht.

Welche Kompetenzen braucht man als Coach?

Ich sage immer: „Come as you are.“ Das Wichtigste ist es, in Resonanz gehen zu können und sich auch vom eigenen Intuitionsgefühl leiten zu lassen.

Die eigene Haltung als Coach ist dabei sehr wichtig. Wir nennen das auch  „Metaskills“. Kann ich meinem Coachee in Allparteilichkeit und Mitgefühl begegnen? Glaube ich selbst an die eigene Gestaltungskraft, die in jedem von uns innewohnt? Neben der Haltung ist ebenfalls  –  auch, wenn das erstmal banal erscheint – die feine Wahrnehmung und Resonanzfähigkeit entscheidend. Richtig zuhören zu können, ist essenziell. Oft neigen wir dazu, sofort Lösungen parat zu haben. Aber erst dadurch, dass ich in Resonanz mit jemandem gehe und mitschwinge, kann ich herausfinden, was zwischen den Zeilen passiert und was das Thema hinter dem Thema ist. Was sind die Emotionen, die sich neben dem Gesagten transportieren? Welche weiteren Themen höre ich noch raus?

Es ist so, wie unser Firmengründer Willy Schley auch immer sagt: Spüren und Mitschwingen ist das, was uns letzten Endes den Raum öffnet und uns auf das nächste Level bringt.

Coaching-Ausbildung: Methoden, Modelle und viel Praxisanteil sind wichtig

In unserer einjährigen Ausbildung setzen wir auf einen Dreiklang aus fundierten Methoden und Modellen, Haltung sowie persönlichem Erleben. Wir haben unglaublich viel Praxisanteil und zu jeder Methode, die wir lehren, machen wir auch eine Übung. Das trainiert und stärkt zum einen, zum anderen ist es auch spannend, in die Rolle des/der Coachee zu schlüpfen und selbst zu spüren, welche Wirkung eine bestimmte Coaching-Methode hat.

Daneben fokussieren wir in der Ausbildung die Haltung als Coach und den systemischen Blick. Uns ist es wichtig, dass sich unsere Coaches in Ausbildung vor allem ausprobieren, um auch ihren eigenen Stil zu finden.

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Ausbildung als Reise zu sich selbst

Ich persönlich mag besonders die Module 3 und 4, weil wir in denen sehr in die Tiefe gehen. Das sind die Module „Identität“ und „Lösungen“. Wir arbeiten da mit dem sogenannten „Inneren Team“, aber wir haben in unserer letzten Überarbeitung der Ausbildung auch noch einmal die Arbeit mit dem Inneren Kind aufgenommen. In diesen Modulen erlebe ich als Dozentin jedes Mal die vielen Emotionen im Raum und wie sich die Menschen öffnen. In solchen Momenten bin ich einfach begeistert, wie viel unsere Teilnehmer:innen schon können.

Damit das passieren kann, ist es wichtig, einen vertrauensvollen Rahmen mit einer stabilen Gruppe zu bieten. Wir haben zwei feste Trainer:innen, die kontinuierlich durch alle 6 Module begleiten, und außerdem Supervisionen, damit unsere Teilnehmer:innen Impulse bekommen und an ihren Erlebnissen während der Ausbildung wachsen können.

Zum Abschluss reflektieren wir gemeinsam: Wie bin ich in die Ausbildung gestartet und als was für ein Mensch gehe ich hier raus? Es berührt mich jedes Mal aufs Neue, den Transformationsprozess der einzelnen Teilnehmenden zum Ende der Ausbildung zu erleben.

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